Ulli Sturm

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MUTUS LIBER

DER KÜNSTLER

TEXTE ZU JOSEF ENZ

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Herta Klein

Karl A. Irsigler

Josef Enz

Kopf

2013, Kugelschreiber auf Papier

29,7 x 21 cm

GNOSTISCHE BILDER,
FIEBERHAFT ZU PAPIER GEBRACHT …

 

Das Werk ist etwas, das einmal gelungen ist, und alles Können und Meisterschaft des bildenden Künstlers garantieren nicht, dass es noch einmal und vor allem genauso gelingt. Dies zu erwähnen ist in Anbetracht der gewagten Lineamente von Josef Enz keinesfalls beliebig hergeholt. Nicht vom formalen Inhalt, sehr jedoch von der Aura ähneln die Werke von Josef Enz der jahrhundertelangen Tradition der Totentanzdarstellungen. Sinn dieses Sujets war die Sichtbarmachung der allgemeinen und unwiderruflichen Hinfälligkeit des menschlichen Seins. Es geht Enz dabei, wie er selbst betont, um die Rätselhaftigkeit des Daseins. Eine ähnliche Situation spiegelt – wie wir alle wissen – auch das Werk Kubins wider.

 

Enz stellt den problembeladenen „Hauptdarsteller“ oft solitär in die Bildfläche. Einer depressiven Statue gleich ist er in der verhängnisvollen Ruhe und Stille zu jeder Kommunikation unfähig. Der Künstler hat aber auch nicht selten eine Population von Wesen geschaffen, die, wenn sie auftreten, immer isoliert bleiben und auf eine Art Erlösung zu warten scheinen. Könnte es aber auch sein, dass sie dem Zerrinnen der Zeit lauschen? Bilder sind selten Antworten, eigentlich beherbergen sie immer Fragen. Wo ist die Realität? Was unterscheidet diese von der Illusion? In diesem Moment und an diesem Ort stellt der Künstler die Grundfrage zur Funktionsfähigkeit der graphischen Darstellung. Doch sehen wir weiter. Gibt es überhaupt eine Illusion, die nicht realitätsgebunden ist? Oder anders gefragt: kann eine Darstellung glaubwürdig sein ohne die Realität widerzuspiegeln? Diese Fragestellung ist gleichermaßen gültig für Graphik wie für Malerei.

 

Die Zeichnung wurde von der Kunstgeschichte vorwiegend unter der Prämisse der “Vorstufe des gemalten Bildes“ untersucht. Da die Graphik auch Stilgeschichte und Ikonographie vorweisen kann, ist der Unterschied zum Tafelbild nicht allzu groß. Es tut seiner Kunst keinen Abbruch, ob sich der Künstler der einen oder anderen Disziplin bedient. Enz ist ein Zeichner mit Leib und Seele. Er ist aber auch ein Psychologe. Er übt den Beruf eines klinischen Psychologen aus. Und als Psychologe findet er auch einen Zugang zur Welt der Mythologie und Phantastik. Seine Handschrift ist geprägt von einer nervösen Strichführung, die trotz unruhigem Liniengeflecht prägnante Ausdruckskraft vermittelt. Seine Zeichnung ist eine autonome Kunstform, also nicht als Ideenskizze, Studie oder gar nur als Übung zu werten. Seine Topoi und Themenkomplexe sind tiefgreifend, sie zeugen von den Leiden, Hoffnungen und Wünschen unseres Daseins. Sein „sezierender Realismus“ ist stets dämonisierend und hintergründig. Landschaften und Bildhintergründe wirken verlassen, wie von einer unheimlichen Macht versteinert. Bei allem aber imponiert seine technische Brillanz, auch bei einem expressiven Staccato ist das Endergebnis künstlerisch sehr spezifisch und niemals von formaler Glätte und Belanglosigkeit geprägt. Sein scharfes Auge und die zeichnende Hand als ausführendes Organ bewältigen sicher die technischen Schwierigkeiten.

 

Seine Darstellungen sind Metamorphosen, Metaphern und Allegorien, und immer liefern sie einen Hinweis darauf, dass heute viele Empfindungen verloren gegangen und verschüttet worden sind, dass die klassische Ikonographie noch nicht abgelöst werden konnte durch zeitgeistiges Vielerlei, vielmehr, dass das Intuitive in der Behandlung existentieller Themen auch weiterhin zur Darstellung drängt, da die Kraft des Unbestechlichen stets erhalten bleibt. Josef Enz ist keiner künstlerischen Richtung, keinem kunstgeschichtlichen Stil verpflichtet. Seine phänomenale technische Begabung, die Virtuosität und Präzision seiner von wenigen Einflüssen getragenen Zeichenkunst vermag zu überzeugen.

 

 

Karl A. Irsigler