Köpfe

2010, Feder und Tusche auf Papier

50 x 60 cm

AUS DER ERÖFFNUNGSREDE
ZUR AUSSTELLUNG IMAGINÄRE KÖPFE

2000, SCHLOSSSTADEL, KEUTSCHACH

 

… Es ist sicher kein Zufall, dass Josef Enz von Beruf Psychologe ist. In seiner diagnostischen Tätigkeit ist die Psychologie des Ausdrucks von größter Bedeutung. Sie erforscht die verschiedensten Ausdrucksformen, von der Mimik über die Gestik, Motorik, bis hin zu Stimme, Sprache, Schrift usw. – und stellt an und aus ihnen die meist unbewussten seelischen Vorgänge und Zustände dar, lässt sie sozial „sichtbar“ werden. Von daher scheint der Schritt zu (…) “imaginären Köpfen“ nicht sehr weit: Es sind verdichtete Portraits, die einen da anspringen, „Seelenportraits“ (das Wort, das mir dazu spontan einfiel). Man kennt diese Köpfe, schaut sie an oder geht an ihnen vorbei, ohne etwas an sich selbst oder an anderen wiederzuerkennen. Der Künstler selbst nennt sie „Essentielle Portraits: Wesensbilder“. Diesen Text von ihm erhielt ich erst vor kurzem und ich war erstaunt, dass ich mit meinem Ausdruck „Seelenportraits“ gar nicht so weit danebenlag.

 

Ich möchte einen Satz aus diesem Text zitieren, es heißt da: „Es geht in diesen Bildern nicht um eine zerlegende Analyse des dargestellten Menschen, schon gar nicht um eine Entlarvung oder um eine übertreibende Zuspitzung wie in der Karikatur, sondern um eine synthetische Darstellungsweise eines menschlichen Wesens, aus der die tiefer liegenden Schichten der Person hervorleuchten“.

Das wichtige Wort hier ist: Synthese – das Zusammenfügen, Vereinigen von Gegensätzen zu einer neuen schöpferischen Einheit. Darauf komme ich gleich zurück.

 

Das zweite, das sofort ins Auge fällt, ist das Phantastische: das Absurde, Ungewohnte/Ungewöhnliche an diesen Blättern, die Erweiterung in das Imaginäre (Enz), die „Monstren“, Menschenköpfe auf Tierkörpern, Tierköpfe auf Menschenkörpern, seltsame, zeitlose Gewandungen und Verkleidungen – Verfremdungen – die eben durch das Unheimliche, zum Teil auch Komische, das in ihnen liegt, mit großer Schärfe und Exaktheit das Wesentliche hervortreten lassen. Dem entspricht auch die Technik des Josef Enz. Aus einer sehr bewegten, chaotischen Strichführung – Kringeln, Kreisen, wirren Linien – wird in einem zweiten Moment/Zugriff der Bildinhalt wie eine Skulptur herausgeholt, herausgemeißelt, heraus“geschleudert“ – denn, so sagt er, dieser Vorgang geschieht sehr schnell, in einem „Zustand der Spannung und Entrücktheit“. Diese fühlbare Spannung, dieses Heraus-holen auf seiten des Künstlers löst umgekehrt beim Betrachter ein Hinein-holen, einen Sog nach innen aus. Man wird in diese Köpfe, in ihr Inneres, geradezu hineingezogen. Ich glaube, das hat auch etwas mit dem Räumlichen, dem dreidimensionalen Blick des Schmiedes, des Skulpturenmachers zu tun; nicht zufällig fiel mir bei diesen Blättern auch sofort das Zeichenwerk Alfred Hrdlickas ein, der ja von der Bildhauerei kommt.

 

Mehr noch aber hat es zu tun mit einer Vierten Dimension: mit der Faszination des „Ungewissen, das an den äußersten Enden des Denkens liegt“. Das ist ein Zitat von Caspar David Friedrich, dem großen deutschen romantischen Maler. Und er sagt weiter: “Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht“.

 

Aus dieser Spannung ( und hier komme ich auf die “Synthese“ zurück) zwischen Außen und Innen, Unbewußtem und Bewusstem, Phantasie und Struktur, Chaos uns Form schöpfen auch diese Blätter, indem sie etwas an und im Menschen sichtbar und spürbar werden lassen, was auf andere, auf „gewöhnliche“ Weise nicht greifbar zu machen wäre. Es liegt eine leise Trauer in ihnen, bei allem Vergnügen, das sie ihrem Schöpfer und dem Betrachter zweifellos gewähren, ein tragischer Grundton. Und etwas von der Kälte, die solchen Zwischenreichen, solchen Grenzregionen, wo die Luft dünn wird, zueigen ist.

 

Ich habe natürlich nach den Vorbildern gefragt. Alfred Kubin und sein phantastisch-dämonisches Universum war mir eingefallen, Alfred Hrdlicka als Zeichner, Francisco Goya natürlich, seine Caprichos und Visionen des Schreckens – Josef Enz fügte James Ensor hinzu, den belgischen Maler und Graphiker der Masken, Skelette, Hexen und Dämonen, auch Hans Fronius. (…)

Es ist dies die „Ahnenreihe“ der Phantastik in der Kunst, ein Stammvater ist Hieronymus Bosch. Es gibt nicht allzu viele, die dieser Reihe angehören, aber sie gehören zu den größten.

 

In einem stimmen die Theoretiker des Phantastischen in der Kunst und in der Literatur überein: Phantastik entsteht immer aus dem Konflikt von zwei (unvereinbaren!) Ordnungen. Die eine ist die Ebene der uns vertrauten Wirklichkeit – die empirische - , die zweite ist die spirituelle Ebene, die sich von dieser gewohnten/gewöhnlichen Realität abhebt. Es findet sozusagen eine Korrosion, ein „Rostfraß“ des Alltäglichen statt, ein Riss geht durch die Welt; man könnte auch sagen, die Phantastik sei die Kunst der Grenzerfahrungen. Wobei die Begriffe „phantastisch – realistisch“ so relativ sind wie unsere jeweiligen Konventionen über das, was wahrscheinlich ist. Mit dieser Unschärfe spielt der phantastische Künstler ja auch, mit einer gewissen Lust an der Verwandlung des scheinbar Vertrauten.

 

Jean Paul Sartre hat das Phantastische als „das mit fremdem Blick gesehene Reale“ bestimmt. Alles kann phantastisch werden, es muss nur aus seinen gewohnten Bezügen herausgerückt, „ver-rückt“ werden. Darum kann es uns erschrecken, darin liegt jene gewisse Kälte, die uns frösteln, schaudern macht. Denn alle Vertrautheiten, Sicherheiten sind quasi aufgekündigt – das Ding, der Gegenstand, der Mensch tritt uns plötzlich in seiner ursprünglichen Fremdheit gegenüber, wird zu etwas Anderem, übersteigt, transzendiert die Welt der Fakten.

 

Die ganze Menagerie der Mischwesen und Monstren ist ja schon von alters her (man denke an den Minotaurus) ein Revier solcher unbegrenzter Möglichkeiten. Andere Reviere wären: Landschaft, Architektur (Piranesi und seine Kerkerräume), die Fremdheit der Natur, Ungültigkeit der Naturgesetze (die zerrinnenden Uhren von Salvador Dali), imaginäre Welten, mythische Welten.

 

 

Dr. Herta Klein

Keutschach am 5. 9. 2000

Ulli Sturm

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