DAS ATELIER

 

Das Atelier wurde 1999 errichtet. Es handelt sich um einen Holzriegelbau in zwei Etagen: Ein Würfel mit der Kantenlänge von sieben Metern, der auf einem Betonfundament ruht. Dadurch wird das Gebäude erhöht und steht, von der Südseite betrachtet, wie ein Turm da. Die Fassaden wurden durch blaue Bleche mit Isolierschicht gestaltet, die ein großes Mittelfeld aussparen. Dieses wird durch die zentrale Fenstersäule in drei Teile geteilt. Die Fensterfläche drängt durch ihren rhythmisierten Aufbau nach oben und verläuft von ganz unten bis einen Meter unter die Oberkante des Gebäudes. An ihren Flanken erstrecken sich, um das Mittelfeld zu füllen, zwei flache Säulen von gleicher Höhe und fast gleicher Breite. Diese wurden zunächst von honigfarbenen Holzpaneelen horizontal gestaltet. Die Idee zur Neugestaltung der holzverkleideten Fassadenteile ergab sich aus der Notwendigkeit, die abgewitterten und zum Teil aufgeworfenen Paneelbretter abzudichten.

 

Dazu erwies sich Blech als am besten geeignet. Um den prosaisch-nüchternen Charakter von ca. fünfzig Quadratmeter Blech zu mindern, bot sich die zeichnerische Gestaltung an. Hellgraues, beschichtetes Aluminiumblech wurde mit einem handlichen Winkelschleifer(ca. zwei Kilo schwer) mit einer stumpfen Schleifscheibe bearbeitet.

 

Zuvor aber mussten die Motive entwickelt werden. Diese Arbeit erstreckte sich über mehrere Wochen, bis ein Fundus von ungefähr zweihundert Motiven entstanden war. Als nächstes wurden die Motive auf die Blechtafeln (1 x 1,4 m) mit Graphitstift gezeichnet. In einem zweiten Durchgang (Pentimenti) wurden die Figuren mit einem Buntstift verbessert, in ihrer Dynamik gesteigert. Diese Vorzeichnungen sind noch unter der endgültigen Version sichtbar. Der dritte Durchgang aber war der entscheidende. Mit dem Winkelschleifer, dessen beträchtliches Eigengewicht eine entschlossene Strichführung unbedingt erforderte, wurde die vorhergehende Interpretation der Pentimenti endgültig in die Form geschliffen. Korrekturen waren bei diesem Durchgang nicht mehr möglich. Dieser letzte Arbeitsgang erforderte große Anstrengung und Konzentration, die nur kurzzeitig durchgehalten werden konnte, und so erstreckte sich der Prozess über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Der nächste Schritt war dann die Anbringung der einzelnen Tafeln auf die Holzpaneele.

 

Künstlerische Gestaltung: Da die zu gestaltenden Fassadenteile die Form von sechs Meter hohen Pilastern haben, die flankierend zur zentralen Fenstersäule verlaufen, und der Bau insgesamt an einen von fünf Säulen getragenen Tempelbau erinnert, sollten auch die verwendeten Motive diese sakrale Aura weiterentwickeln. Es bot sich ein Rückgriff in die Kunstgeschichte an: Die GROTESKE als Evokation einer Anderwelt und zugleich als anspielungsreiches Divertimento.

 

Jede einzelne Tafel ist mit jeweils drei Zeilen zu drei Figuren beschrieben. Dadurch ergibt sich die Querstruktur einer fortlaufenden Schrift, die aufgrund ihrer lebendigen Unregelmäßigkeiten die Starrheit der Architektur beleben. Die zwei über und über mit Zeichnungen bedeckten Pilaster sind in ihren Motiven symmetrisch aufeinander bezogen, die grotesken Figuren (Kentauren, Tiermenschen, Geflügelte, Mischwesen etc. …) streben in ihrem Bewegungsdrang zur Mitte, die durch die Fenstersäule eine Tiefendimension und Glasmystik entwickelt. Die Motive laufen in Zeilen dahin mit gesteigertem dynamischen Duktus. Den grotesken Laufzeichnungen haftet aber auch etwas Lakonisches, Aphoristisches an, denn jedes Motiv kann für sich stehen und begreift sich nie als pure Wiederholung, sondern als spielerische Variation. Vorgetragen wird das Ensemble in einer bewegten Suada, welche die hieratische Strenge der Säulenarchitektur aufbricht.

 

Eine erstaunliche Wirkung, die vorher experimentell ermittelt wurde, ergab sich durch den wechselnden Lichteinfall, der sich ganz verschieden in den geschliffenen Zeichnungsspuren verfangen kann und sehr variabel reflektiert wird, wodurch das Gebäude mitunter wie eine glänzende Gralsburg erscheinen kann, es kann aber auch sein, dass die Zeichenschrift schattenhaft verblasst, sodass dann nur noch ein grauer Blechturm dasteht. Wenn der Betrachter die Fassade entlang geht, verändert sich in einem kinetischen Mitgehen auch die Zeichnung.

 

Der Innenraum des Kubus teilt sich in zwei Etagen. Die untere Etage ist ganz Werkstätte, also quadratisch. In der Mitte steht eine starke Säule, wieder mit quadratischem Querschnitt. Sie trägt einen massiven Querbalken, der die obere Etage trägt. Metaphorisch ist dies eine stützende Weltsäule. Ohne ihre Funktion würde das ganze Gebäude vom Zusammenbruch bedroht sein. Am Fuß der Säule ist ein großer Arbeitstisch angebracht, der durchaus altarähnlich wirkt. Es handelt sich aber um eine profane Tischtennisplatte, auf ihr stehen die Utensilien des Zeichners, und sie weist starke Benützungsspuren auf. Eine Holzstiege mit Wendepodest führt in das Obergeschoß, das mit Bibliothek, Kochnische und Funktionsräumen der Erholung und der Aussicht dient.

 

An der Nordwestkante des Gebäudes liegt ein kleiner kubischer Klotz aus Beton, der entfernt an die Gesamtanlage des Baus erinnert. Er wirkt wie ein herausgebrochener Eckstein, der verworfen wurde. Dieser Stein ist untrennbar mit dem Gebäude verbunden, denn er trägt in sich die Aufforderung, etwas Neues entstehen zu lassen.

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